Luc Estapé

Herr P. ist Eigentümer und Geschäftsführer eines KMU mit 600 Mitarbeitern in der Ostschweiz mit grossem, noch nicht voll ausgeschöpftem Marktpotenzial. Mit seinen 68 Jahren möchte er einerseits das Unternehmen in gute Hände geben, anderseits sicherstellen, dass die Chancen kompetent angepackt und umgesetzt werden.

Er startet den Nachfolgeprozess, um in einem ersten Schritt eine Nachfolge für die Geschäftsführung, in einem zweiten Schritt für die Eigentümerschaft zu finden. Dazu wird ein Anforderungsprofil für die Positionen erstellt, und ein externer Partner wird damit beauftgragt, intern wie extern nach Kandidaten zu suchen.

Nach diesem Prozess bleiben zwei Personen übrig. Beide sind Interne und seit 5 und 15 Jahren im Unternehmen tätig. Herr P. entscheidet sich für den einen Kandidaten.

Doch was nun? Der «Sieger» hat zwar umfassende Branchen- und Führungserfahrung, doch war er bislang nicht als Generalist tätig. Zudem sammelte er nur ungenügend Erfahrung in allen anderen Unternehmensbereichen. Macht es nun Sinn, diese Person noch drei bis fünf Jahre in die Aufgaben von Forschung, Marketing, Aftersales und Finanzen einzuarbeiten? Und der «Verlierer» hat wohl wenig Lust darauf, die nächsten 15 Jahre für den neuen CEO tätig zu sein, da er sich die Aufgabe ja auch zugetraut hatte.

So steht der Unternehmer nun vor der Herausforderung, den neuen CEO für die gesamtheitliche Aufgabe fit zu machen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der nicht gewählte Kandidat das Unternehmen in Würde und im Guten verlassen kann.

Im Folgenden sind die Anforderungen an den neuen CEO aufgeführt, wie er sich die notwendigen Kompetenzen aneignet und woher sie stammen.

Die Darstellung zeigt, dass für strategische Aufgaben vor allem die Erfahrung relevant ist. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass der CEO des Konkurrenten nicht wirklich daran interessiert ist, dieselbe Aufgabe in einem beinahe gleichen Betrieb zu übernehmen. Um trotzdem erfolgreich sein zu können, muss ein CEO mit einem nicht sehr breitem spezifischen Erfahrungswissen die Möglichkeit erhalten, die notwendigen spezifischen Kenntnisse zu erwerben, ohne die in der Regel damit verbundenen Fehler selber zu machen.

 

Auf dieser Begründung basiert die Unternehmensberatung: So kann das Unternehmen nicht selbst erlebtes Erfahrungswissen hinzuziehen. Allerdings hat dies den Nachteil, dass das Know-how nach Beendigung des Auftrags auch wieder weg ist. Der Beizug von Unternehmensberatern lohnt sich primär in Situationen, die einmalig sind und schnelle Lerneffekte beinhalten. Wenn nun ein Finanzinstitut mit neuen Regulatorien konfrontiert ist, wird kaum ein Weg darum herum führen, externe Spezialisten hinzuzuiehen und zu versuchen, deren Know-how nachhaltig im Unternehmen zu verankern. Will aber ein Industrieunternehmen aus eigener Kraft neue Märkte erschliessen, müssen Wege gefunden werden, Erfahrungswissen zu erwerben, das sich bewährt hat.

Transfer von Erfahrung als Ersatz von Fehlern

Ein Unternehmen wird sich deshalb darum bemühen, den Führungskräften Erfahrungswissen zugänglich zu machen, gerade wenn es um Kernbereiche des (zukünftigen) Geschäfts geht, die im Unternehmen bleiben. Neben den Beratungsunternehmen gibt es Weiterbildungsinstitutionen, die sich dadurch profilieren, nicht primär die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu präsentieren. Vielmehr geht es darum, möglichst verschiedene Erfahrungshorizonte zusammenzubringen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen im Rahmen von vertraulichen Gesprächen ihre eigenen Erfahrungen zugänglich machen, sodass alle daraus lernen können. So kann Erfahrungswissen transferiert werden, im Sinne von „Das hat bei uns aus diesen und jenen Gründen nicht geklappt – wir machen es heute deshalb so“.

Hat man solche Möglichkeiten von Erfahrungstransfer im Kopf, bevor eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger für den Chefposten rekrutiert wird, mag sich die Suche auf wesentliche Kriterien wie Entwicklungspotential, bereits vorhandenes Erfahrungswissen und vor allem Führungsfragen konzentrieren. Ausserdem muss man nicht auf formale Ausbildungszertifikate abstellen, deren Aussagekraft hinter der unternehmerischen Realität zu verschwinden droht.

Das eingangs erwähnte Unternehmen hat das Dilemma so gelöst, dass der neue CEO ein Jahr vor Amtsantritt in ein spezifisches Weiterbildungsprogramm geschickt wurde. Dieses half ihm einerseits, die noch nicht voll ausgeschöpften betriebswirtschaftlichen Kenntnisse aufzuarbeiten. Anderseits erhielt er systematischen Zugriff auf Erfahrungswissen aus andern Branchen und Bereichen. Das gewählte Programm ermöglichte zudem, die eigene Strategie neu durchzudenken und die ersten strategischen Projekte schon aus dem Programm heraus zu starten. Durch das gesammelte Erfahrungswissen der Peers angereichert, konnte damit eine umsetzungsbereite Strategie formuliert werden.

Der nicht gewählte Kandidat schliesslich wurde in ein Executive-MBA Programm einer renommierten Universität geschickt, um damit seine Kompetenzen im Sinne einer generalistischen beruflichen Herausforderung abzurunden und seine Arbeitsmarktfähigkeit zu erhöhen.

So gelang es dem Unternehmer, die Zukunft seines Lebenswerks in einem ersten Schritt operativ in neue Hände zu geben, um den zweiten Schritt, die Übertragung der Eigentumsrechte, unabhängig davon und mit vollem Elan anzugehen.

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