Portraits

Bruno Bettoni

SKU 63 1991

«Bauherr des Pragmatismus»

Bruno Bettoni führt das Immobilienunternehmen Allreal durch eine steile Wachstumsphase. Doch Gigantismus ist nicht das Ding des CEO.

Viel kleinere Schweizer Firmen aus allen Branchen wollen die Emerging Markets dieser Welt erobern. Nicht so die Allreal-Gruppe. Der Immobilienkonzern vergrössert sein Portfolio seit Jahren, wächst auch als Generalunternehmer kontinuierlich und setzt Milliarden um. Die Schweiz genügt ihm dabei jedoch als Territorium. «Im Ausland haben wir nichts verloren, weil der Immobilienmarkt ein lokales Geschäft ist.» Bruno Bettoni sagt es bestimmt, aber unaufgeregt. So ist die Art des CEO von Allreal. Er wirkt überlegt, besonnen, etwas nüchtern. Seine Rhetorik ist nicht jovial, eher kühl und pragmatisch. Die Inhalte der kurzen Sätze beschränken sich auf das Wesentliche.

Mit dieser unspektakulären Art hat es Bruno Bettoni weit gebracht. Der gelernte Hochbauzeichner hat sich hochgedient und ist seit über 14 Jahren CEO bei Allreal. Das heute börsenkotierte Unternehmen ging 1999 aus der Oerlikon-Bührle Immobilien AG hervor und hat seinen Immobilienbestand zwischen 2000 und 2010 vervierfacht. Heute umfasst das Portfolio 45 Geschäfts- und 18 Wohnliegenschaften. Fünf weitere Anlageliegenschaften befinden sich zurzeit im Bau.

Vom eng führenden Patron zum Delegierer

Markant mitgewachsen ist bei Allreal der Personalbestand. Das stellt neue Herausforderungen an den CEO. «Ohne strukturelle, organisatorische und personelle Anpassungen hätten wir das Wachstum nicht bewältigen können», sagt er. Konkret heisst das: Bettoni musste sich vom eng führenden Patron zum delegierenden Chef entwickeln. Um sich herum hat er ein Management-Team formiert, dem er viel Entscheidungsspielraum lässt und Verantwortung überträgt. Vertrauen spielt dabei eine wichtige Rolle. Wer es missbraucht, kann es sich mit Bruno Bettoni rasch verspielen. «Mangelnde Professionalität und Unehrlichkeit dulde ich nicht, und zwar auf keiner Hierarchiestufe.»

«Zuckerbrot und Peitsche» oder «Alte Schule» nennen es die einen, von seiner «persönlichen und erprobten Führungsphilosophie» spricht Bruno Bettoni. Den Patron gibt er immer noch hie und da. Die rund 250 Mitarbeitenden am Allreal-Sitz in Zürich-Oerlikon spüren ihren Chef. Regelmässig ist er in den Gängen und Büros des gut zehnjährigen Gebäudes anzutreffen, das Allreal selbst gebaut hat und heute als Mieterin belegt. Statt Wände sorgen durchsichtige Glasfronten für Transparenz. «Es ist mir sehr wichtig, die Menschen in unserem Unternehmen persönlich zu kennen», so Bettoni. Der Kontakt zu ihnen wirke motivierend. «Für mich selbst und hoffentlich auch für die Mitarbeitenden», sagt er mit einem Lächeln.

Allreals Beitrag zur 2000-Watt-Gesellschaft

Er hat noch einiges vor mit ihnen. «Die gute Konjunktur, das Bevölkerungswachstum sowie anhaltend steigende Ansprüche stimmen mich zuversichtlich für weiteres Wachstum», so Bettoni. Doch wie steht es um sein ökologisches Gewissen? Kann man die ganze Schweiz zupflastern? «Beim Bauen und beim Betrieb von Liegenschaften lässt sich die Belastung der Umwelt zwar minimieren, aber nicht gänzlich eliminieren», so seine diplomatische Antwort. Allreal bemühe sich jedoch, mit den knappen Ressourcen sparsam umzugehen. «Ökologische und energieeffiziente Projekte werden bei uns klar bevorzugt.» So hat Allreal seit dem Jahr 2000 über 50 Minergiebauten erstellt und bis Frühling 2013 mehr als 1,3 Millionen Quadratmeter Energiebezugsfläche nach Minergie zertifizieren lassen. In Wallisellen realisiert Allreal gegenwärtig die erste Arealüberbauung der Schweiz, welche die Anforderungen einer visionären 2000-Watt-Gesellschaft erfüllt. Auf das grüne Gewissen seines Unternehmens legt Bruno Bettoni viel Wert. Er outet sich auch als Verfechter einer verdichteten Bauweise, obwohl Zürich sicher nie ein zweites Hong Kong werden könne. «Wo sinnvoll und möglich, müssen Wohn- und Geschäftsliegenschaften aber näher zusammenrücken und sich nach oben orientieren.» Moderates Wachstum statt Gigantismus sieht er als Königsweg für Allreal. Insofern habe sich an der Grundstrategie des Unternehmens in der Vergangenheit nicht so viel verändert. Vor über 20 Jahren absolvierte Bruno Bettoni, damals Direktor beim Vorgängerunternehmen Oerlikon-Bührle Immobilien AG, das SKU Advanced Management Program und entwickelte in diesem Rahmen eine Strategie für seinen Arbeitgeber. Schon damals ging es hauptsächlich um die geografische Diversifizierung innerhalb der Schweiz sowie die Erschliessung neuer nationaler Wachstumsmärkte.

«Selbstverständlich hat sich seither viel verändert und unsere Branche hat sich auch technisch enorm weiterentwickelt. Die grundlegenden Fragestellungen und Herausforderungen in unserem Geschäft sind aber immer noch die gleichen», so Bettoni. Die Welt erneuert sich rasant, doch um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen, setzt der CEO von Allreal da und dort auch auf altbewährte Konzepte.

Text: Robert Wildi

Bruno Bettoni

ist seit 1999 CEO der Allreal-Gruppe. Zuvor war er 26 Jahre beim Vorgängerunternehmen Oerlikon-Bührle Immobilien AG engagiert, wo er vom Bauleiter bis zum Geschäftsleiter aufgestiegen ist. Nach einer Lehre als Hochbauzeichner und einer Zusatzlehre als Maurer hatte Bruno Bettoni über die Jahre zahlreiche betriebswirtschaftliche Weiterbildungskurse absolviert. Darunter im Jahr 1991 das SKU Advanced Management Program. Bruno Bettoni ist 64-jährig, verheiratet und Vater einer Tochter.

Allreal

Die Allreal-Gruppe kombiniert die Bewirtschaftung eines riesigen Immobilienportfolios im Gesamtwert von CHF 3,2 Milliarden mit der Tätigkeit des Generalunternehmers (Projektentwicklung und Realisation). Im Geschäftsjahr 2012 betrug das von der Generalunternehmung abgewickelte Projektvolumen CHF 940 Millionen. Am operativen Sitz in Zürich sowie an den Standorten Basel, Bern, Cham und St. Gallen beschäftigt das Immobilienunternehmen, welches ausschliesslich in der Schweiz tätig ist, über 400 Mitarbeitende. Die Aktien der Allreal Holding AG sind an der Börse kotiert.

Thomas Meier-Bickel

SKU 90 2009

«Reissleine ziehen oder weiter investieren»

Ein interessantes Produkt für die Automobilindustrie, leider etwas teuer. «Was tun?», fragt sich das Management der Oetiker-Gruppe.

Auf die Entwicklung des «Quick Connectors» sind die Ingenieure der Oetiker-Gruppe stolz. Und das Management des international ausgerichteten Unternehmens hofft auf ein zweites Standbein, denn die Firma mit Hauptsitz in Horgen ZH lebt heute sozusagen von einem einzelnen Produktsegment: 90 Prozent des Umsatzes stammen aus dem Geschäft mit Klemmen und Ringen, die zur Abbindung und Befestigung von Schläuchen und anderen Bauteilen eingesetzt werden.

Der Quick Connector ist ein kleines Teil, das in der Automobilindustrie Leitungen mit diversen Motorenbauteilen verbindet. Es lässt sich einfacher und schneller montieren als die Schnellverbinder der Konkurrenz. Dafür kostet es durchschnittlich 2 Franken, während die gebräuchlichen Lösungen für 50 Rappen bis 1 Franken geliefert werden.

Die Kunden hielten sich vornehm zurück. Doch der Preisaspekt war nur ein Teil der Schwierigkeiten des Quick Connectors, der bereits Anfang des Jahrtausends entwickelt worden war. Ebenso trifft zu, dass sich in der Distribution von Oetiker Widerstand regte. «Es ist ein sehr technisches Produkt, das dem Kunden aufwendig erklärt werden muss», sagt Thomas Meier-Bickel, Geschäftsleitungsmitglied der Oetiker-Gruppe. «Dass es für fast jedes Automodell und jede Motorisierung eine individualisierte Version gibt, macht die Sache noch komplexer.» Kommen die langen Zyklen hinzu: Heute wird ein Automodell inklusive Auswahl der Teilelieferanten geplant, das erst in drei bis vier Jahren in Produktion geht. Das bedeutet hohe Investitionen und lange Durststrecken für den Cashflow.

Als Oetiker fast aufgeben wollte, flatterten 2009 die ersten Aufträge herein. Der Verwaltungsrat entschied, dem seit Jahren vor sich hin dümpelnden Produkt mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Thomas Meier-Bickel stand kurz vor der Weiterbildung beim SKU Advanced Management Program. Er entschied sich, seine Strategiearbeit dem Quick Connector zu widmen.

Als Basis dienten die eben eingegangenen Bestellungen für rund 900 000 Stück. Die Vision: «In jedem Personen- und Nutzfahrzeug fährt ein Oetiker-Quick-Connector mit.» Will heissen: Eines Tages sollen jährlich 100 Millionen Quick Connector verbaut werden. Das ist salopp formuliert, zeigt jedoch die grossen Ambitionen. Meier-Bickel: «Bei gewissen Modellen kommt man rasch auf Volumen. Opel stellt zum Beispiel den 1,4-Liter-Benzinmotor pro Jahr fast 500 000-mal her.»

Laut «Mission Statement» soll sich das Produkt damit zu einem zweiten Standbein entwickeln und Türen für weitere Anwendungsbereiche in der Automobilindustrie aufstossen.

Thomas Meier-Bickel zerlegte das Projekt in seine Einzelteile. Wesentliche Aspekte seiner Arbeit:

Personal

In Europa, Nordamerika und Asien werden sich insgesamt rund 50 Marktleute unter anderem mit dem Quick Connector auseinandersetzen. Der Gesamtaufwand wird rund 1000 Stellenprozent betragen.

Hinzu kommen Angestellte aus der Entwicklung, die den Quick Connector an die Kundenwünsche anpassen.

Thomas Meier-Bickel: Die Leute haben wir bereits. Sie müssen sich nur intensiver und mit mehr Fachwissen ausgestattet mit dem Quick Connector auseinandersetzen. Wir stellen neu einen Produktmanager ein, der sich ganz um das Segment kümmert. Die Herausforderung: alle Beteiligten schulen und für das Produkt begeistern.

Widerstände

Im Automotive-Bereich des Unternehmens arbeiten fast nur Ingenieure als Verkaufsmitarbeiter. Anders im Segment «Industry & Trade», das 30 Prozent des Umsatzes der Oetiker-Gruppe erwirtschaftet. Hier müssen die Mitarbeiter stärker an das Produkt herangeführt werden. Viele von ihnen finden schwer Zugang zum Quick Connector, der beim Kunden technisch komplexe Fragen aufwirft.

Thomas Meier-Bickel: Viele Vertriebsleute möchten lieber weiterhin auf das gut laufende Hauptgeschäft fokussieren, das sie aus dem Effeff kennen. Wir müssen die strategische Bedeutung des Quick Connectors verständlich machen.

Potenzial

Von Anfang an war klar, dass es im Autobereich Anwendungen und somit Verkaufspotenzial gibt. Hingegen hätte die Firma die Verkäufer aus dem Bereich Industry & Trade nicht auf das Produkt ansetzen dürfen, ohne auch dort den Potenzialbeweis bereits erbracht zu haben. Heute ist klar: Es gibt hier viel weniger Anwendungen, als die Oetiker AG sich erhofft hatte.

Thomas Meier-Bickel: Wir schrauben die Bemühungen zugunsten des Quick Connectors im Bereich Industry & Trade zurück und nehmen ihn dort passiv mit. Vor allem im Autobereich Gas geben.

Zwei Jahre später: Fasst das Produkt im Markt Fuss?

Die Oetiker-Gruppe ging gemäss der Strategie Meier-Bickels vor. Doch bald kamen Rückschläge: So wollte ein Kunde eine Anpassung des Produkts, die nicht schnell genug umgesetzt werden konnte. Mit zeitlicher Distanz zur Strategiearbeit stellt Thomas Meier-Bickel fest, dass die formulierten Erwartungen zu hoch waren. Es ist zum Beispiel die zeitliche Einsparung bei der Montage zu gering, als dass auch Produktionsstätten aus Tieflohnländern zugreifen würden. «Wir haben interessierte Kunden, aber deutlich weniger Projekte und geringere Stückzahlen pro Projekt, als wir erhofft hatten. Wir wollten es relativ kurzfristig auf eine Verkaufszahl im zweistelligen Millionenbereich bringen. Das ist misslungen und auch die Ziele für die Zukunft sind in Frage gestellt.»

Der nächste Meilenstein: Ende 2011 will der Verwaltungsrat eine «realistische Beurteilung der Sachlage» vornehmen. Was, wenn die Produktion des Quick Connectors dann eingestellt wird? Tragisch sei das für das Unternehmen aus globaler Sicht nicht, sagt Thomas Meier-Bickel. Es lebe gut mit den Klemmen, dem Hauptgeschäft, und erobere in diesem Segment dank verstärkten Verkaufsanstrengungen, gepaart mit guten Produkten, stets neue Märkte.

Text: Dave Hertig

Thomas Meier-Bickel

ist Geschäftsleitungsmitglied der Oetiker-Gruppe und verantwortlich für den Vertrieb in Europa sowie für das Produktmanagement und Marketing weltweit. Er stiess 2006 zu Oetiker. Zuvor war er Marketingspezialist und Kundenberater bei der UBS. Doktor der Wirtschaftswissenschaften (Universität Zürich), SKU Advanced Management Program. Jahrgang 1975, verheiratet.

Die Firma

Die Oetiker-Gruppe wurde 1942 als mechanische Werkstätte im zürcherischen Horgen gegründet. 17 Jahre später begann über Österreich und Nordamerika die internationale Expansion. Inzwischen hat das Unternehmen 1100 Angestellte in 17 Ländern (Europa, Nordamerika und Asien). 2010 betrug der Umsatz 193 Millionen Franken. 90 Prozent davon stammen aus dem Geschäft mit Klemmen und Ringen, die zur Abbindung und Befestigung von Schläuchen und anderen Bauteilen verwendet werden. Weitere Segmente: Druckluftkupplungen (für industrielle Druckluftanwendungen), Produkte in der Fördertechnik und der Quick Connector (Schnellverbinder).

Das Produkt

Der Quick Connector verbindet in Autos Leitungen mit verschiedenen Motorenbauteilen. Das Verbindungsstück lässt sich einfach und schnell montieren und ist dafür rund doppelt so teuer wie die handelsüblichen Konkurrenzprodukte. Es hält Druck von bis zu 40 bar aus und wird individuell für jeden Kunden respektive das jeweilige Fahrzeugmodell angepasst.

Daniel Böhny

SKU 89 2008

«Intuition als Trumpf»

Howeg gehört zu 100 Prozent der Coop-Gruppe. Ebenfalls innerhalb der Gruppe angesiedelt ist der Fleischverarbeiter Bell. Von dort wurde Daniel Böhny geholt, mit dem Ziel, das Unternehmen wieder auf Vordermann zu bringen. Seine Erklärung: «Als frischgebackener CEO bekam ich aufgetragen, den Turnaround zu schaffen. Während mehrerer Jahre wurden rote Zahlen präsentiert, dies zu ändern, das war meine Verantwortung.» Er weiter: «Von ganz oben, sprich, vom amtierenden VR-Präsident Hansueli Loosli, wurde mir freie Hand gelassen, selbst für einschneidende Massnahmen.»

Freiheiten und Einschneidendes. Das lässt aufhorchen – und stellt die Frage in den Raum, ob das Ziel erreicht worden sei. «Ganz klar ja», so der Geschäftsführer nicht ohne Stolz. Er fügt an: «Ich darf sogar behaupten, dass die Entwicklung über der Erwartung lag. Nach zwei Jahren war der Turnaround bereits Tatsache. Heute sind wir ein rentables Unternehmen. Wir führen das breiteste Belieferungssortiment schweizweit und sind die einzigen, die innerhalb 24 Stunden ab Bestellung liefern.»

Howeg generierte 2011 zirka 340 Millionen Franken Umsatz. Dieser war, so der CEO, über die letzten drei Jahre hinweg stabil. Geht es um Gewinne, dringen aber keine Worte nach aussen. So die Kommunikationspolitik. Wohingegen in Bezug auf die Belegschaft offener gesprochen wird: «Anfangs waren es 410 Mitarbeiter, derzeit sind es deren 360.» Apropos Mitarbeiter, speziell der Entscheid, nach seiner kurzen Einführungsphase jeden Einzelnen zu durchleuchten und den Stellenabbau einzuleiten, hätten für den Erfolg mitverantwortlich gezeichnet.

Böhny lässt einblicken: «Es ist wichtig, zu Beginn nicht gleich alles zu pulverisieren und Neues aus dem Boden zu stampfen. Manchmal ist weniger mehr, Effekthascherei Gift. Ich beobachtete das Geschehen intensiv und begann kurz darauf zu hinterfragen. Personalentscheide sind notwendig, auf allen Stufen. Begonnen habe ich übrigens in der Geschäftsleitung.» Die Konsequenz steht in seinen Augen geschrieben. Dass selbst bislang gestandene Manager gehen mussten, verwundert kaum. Auf den ersten Blick verwunderlich ist dagegen die relativ tiefe Fluktuationsrate, die sich laut Böhny derzeit (kumuliert, seit Jahresanfang) bei 1,3 Prozent eingependelt hat und früher auch mal bei 4 Prozent lag.

Bauchgefühl und Tempo

Zu diesem (Teil-)Erfolg meint der dreifache Familienvater: «Falsch ist es, mit Entscheiden zu zögern. Spätestens nach sechs Monaten müssen, um beim Beispiel zu bleiben, wesentliche Personalentscheide gefällt und umgesetzt sein. Dabei höre ich persönlich stark auf mein Bauchgefühl. Darüber hinaus ist ein offener Informationsaustausch wichtig, eine klare Linie dabei imminent. Das ist aber überall so oder sollte es zumindest sein.» Der Mann wirkt geradlinig, nahbar, offen und glaubwürdig.

Doch von nichts kommt nichts und so märchenhaft sich das Ganze anhört, die «Goldesel-Mentalität» gehört schliesslich ins Märchenreich. Ohne aber hier den Blick zur Realität zu verlieren: Wie klettert einer derart die Karriereleiter empor? Mit Wadenkraft und Magnesium an den Händen? Wie ist er zu dem Chef geworden, der keine Luftschlösser baut? Der CEO dazu lachend: «Na, ich habe relativ spät gemerkt, dass Arbeit Freude bereiten kann und dass ich denn auch einer Karriere nicht abgeneigt bin. Einige Zeit danach merkte ich wiederum, dass Schule Spass macht und ich alles vereinen kann. Zu geschätzten 50 Prozent bin ich von Natur aus Manager, 30 Prozent habe ich mir zusätzlich erarbeitet. Und ob ich die restlichen 20 als Manager nutzen möchte, glaube ich eher nicht. Es muss nicht immer gemanagt werden.»

Böhny ergänzend: «Letzteres ungeachtet, wegweisend waren insbesondere mein Learning on the job, also laufend wachsende Berufserfahrungen, zudem das Militär und verschiedene Weiterbildungen, so etwa der SKU-Lehrgang.» SKU? Ein Code, ein abenteuerliches Akronym, ja, gar ein kaum gesprochener Bergdialekt? Böhny schmunzelnd: «Es handelt sich um ein Advanced Management Program. Dieses ist bislang zwar nicht überall so bekannt, schliesslich aber effektiv, effizient. Für mich persönlich ist dieser Lehrgang absolut prägend.»

In Bezug auf Letzteres seien ihm gewisse Aha-Erlebnisse in Erinnerung geblieben: «Erstens – Change Management ist kein Projekt, das hier anfängt und dort aufhört, sondern ist heute ein laufender Prozess. Zweitens – gerade ich, der oft intuitiv handelt, schätze es, wenn andere Führungspersonen dieser meiner Art ein strukturelles Gerüst zugrunde legen. Das ist auch deshalb für mich wichtig, weil der Lehrgang von unterschiedlichen Leuten aus jeweils unterschiedlichen Branchen und Unternehmen besucht wird. Der praxisnahe Austausch ist lehrreich. Dabei habe ich auch festgestellt, dass sich alle Firmen plus-minus mit gleichen Problemen herumschlagen.»

Böhnys Zusatz: «Immer wieder gelange ich in meiner Berufswelt an einen Punkt, auf den ich schon während des Lehrgangs gestossen bin. Und selbst wenn ich dann nicht spezifisch in den Unterlagen nachschaue, die Erinnerung ist da, mein Blickfeld nachhaltig erweitert.» Nicht nur das Blickfeld scheint erweitert, auch Böhnys Antwort-Radius: «Während des Lehrgangs baut man seine gewählte Geschäftsstrategie auf. Am Schluss hält man ein Strategiepapier in den Händen, das sich auf jene Firma bezieht, in der man gerade arbeitet. Bei mir kam zwar der Schnitt Bell-Howeg dazwischen. Das war aber kaum hinderlich, konnte doch meine Nachfolgerin bei Bell davon konkret profitieren. Dessen ungeachtet, das Erarbeitete kann man selbstverständlich nicht zu 100 Prozent auf das Unternehmen und dessen Zukunft übertragen, aber sicherlich einzelne Punkte. Bei mir war das ebenfalls so. Am Ende ist meiner Meinung nach allerdings nicht das Strategie-Ergebnis der ‹Lynchpin›. Viel mehr ist es das Erarbeiten.»

Text: Cyril Schicker

Daniel Böhny

ist seit nunmehr vier Jahren Geschäftsführer bei Howeg, dem führenden Unternehmen im Schweizer Belieferungsgrosshandel. Der Ehemann und dreifache Familienvater zeichnete davor für den Bereich Geflügel im Hause Bell verantwortlich, das ebenfalls zur Coop-Gruppe gehört. Unter Böhnys Leitung kam die Schweizer Traditionsfirma rasch wieder auf Kurs.

Howeg

Howeg gehört zur Transgourmet Schweiz AG, die wiederum Teil der Transgourmet Holding AG ist. Die Muttergesellschaft ist europaweit das zweitgrösste Cash & Carry-Foodservice-Unternehmen. Sie gehört zu 100 % der Coop-Gruppe. Unter dem Dach der Transgourmet finden sich unter anderen Prodega/Growa, REWE-Foodservice, Fegros/Selgros und Howeg, das führende Geschäft im Schweizer Belieferungsgrosshandel. Getreu dem Leitsatz «Professionelles, partnerschaftliches Schaffen – und zwar jeden Tag noch ein bisschen besser» kommen insgesamt 5500 Kunden in den Howeg’schen Genuss. Dieser Genuss bringt dem Unternehmen, per Ende 2011 (Stand 2011), einen Nettoumsatz von rund 340 Millionen Schweizer Franken.

Thomas Freiburghaus

SKU 89 2008

«Wenn 90 Prozent Umsatz wegbrechen»

Als das Automotive-Geschäft der Wicor Holding AG Anfang 2009 darniederlag, übernahm Thomas Freiburghaus (45) das Ruder der Division Automotive & Industrial. Mit Direktheit und Charme schwor er 800 Mitarbeitende auf den Turnaround ein und fand einen Käufer.

«Ich liebe Menschen, darum führe ich gern.» Thomas Freiburghaus sagt es von sich, und zugegeben, viele Manager schreiben das in ihre Bewerbung. Den Beleg müssen Erfolge liefern. Als solchen verbucht er, dass die amerikanische Techniplas Group (siehe Kasten) im Mai 2014 den Kauf der Sparte Automotive & Industrial der Rapperswiler Wicor Holding AG verkündet hat. Freiburghaus leitet die Sparte im Hauptsitz am oberen Zürichsee und sagt: «Dieser Deal wäre ohne die Hartnäckigkeit unseres eingeschworenen Management-Teams nicht eingefädelt und durchgezogen worden.»

Der Reihe nach: Nach Ausbruch der globalen Finanzkrise sah es vor fünf Jahren düster aus für die Automotive-Sparte von Wicor (Weidmann International Corporation). «Im US-Werk in Alabama brachen allein im Januar 2009 rund 90 Prozent unseres Automotive-Umsatzes weg», erinnert sich Freiburghaus.

Er war zu diesem Zeitpunkt Finanzchef des Geschäftsbereichs Plastics Technology und hatte eben das SKU Advanced Management Program abgeschlossen. Im Rahmen dieser Weiterbildung erstellen die Absolventen eine Strategiearbeit, die Herausforderungen im realen Arbeitsumfeld lösen soll. «Hier konnte ich meine Gedanken im Team entwickeln und erstellte einen Plan für das Automotive-Geschäft von Wicor.» Die Ideen von Freiburghaus kamen beim CEO der Holding gut an. Nach dem ersten Quartal 2010 übernahm er die alleinige Führung der Division Automotive & Industrial mit ihren 800 Mitarbeitenden und setzte seine Strategie um.

Grossraumbüros und neues Wir-Gefühl

Als Erstes etablierte er eine ganz neue Führungsstruktur und -kultur. Freiburghaus holte am Sitz in Rapperswil alle Kadermitglieder aus ihren Einzelbüros und platzierte sie in Grossraumbüros. «Damit wollte ich einen neuen Teamspirit entfachen und räumlich symbolisieren, dass jeder Mitarbeitende, vom Lehrling bis zum CEO, die gleiche Wertschätzung verdient.»

Das Wir-Gefühl innerhalb der Division wuchs länderübergreifend. Neben atmosphärischen hat Thomas Freiburghaus auch betriebstechnische Pflöcke eingeschlagen. Das Produktionswerk in Rüti ZH wurde ein eigenständiges Werk und viele Aufträge gingen aufgrund der Währungskrise ins nahe Ausland. Einen Ausbau erfuhr dafür das Entwicklungs- und Engineering-Zentrum in Rapperswil. Es beschäftigt heute über 100 Mitarbeitende, welche die Serienproduktionen in China, Südafrika, Europa, USA oder Südamerika mit neu entwickelten Prototypen, moderneren Produktionsverfahren und weiteren technischen Fortschritten verschiedenster Ausprägung «füttern». Diese klare Trennung von Entwicklung und Fertigung zahlte sich rasch aus und die Produktivität stieg.

1200 Kilometer im Bus

Der Plan trug Früchte, das Geschäft erholte sich. Ein Alleingang schien dennoch ausgeschlossen, sodass Freiburghaus im Januar 2012 die Übernahme als strategisches Ziel formulierte. «Ich wollte einen Käufer finden, der das Automotive-Geschäft liebt und uns mit eigenen Werken zusätzliche Kapazitäten beschert.» Freiburghaus suchte auch in den USA und lernte im Sommer 2013 die Techniplas Group kennen, die er bald favorisierte. Um die Menschen hinter dem Firmennamen besser kennenzulernen, lud er das Management in die Schweiz ein. In einem VW-Bus legte man gemeinsam 1200 Kilometer von Rapperswil bis zum Werk in Sachsen zurück. «Die Amerikaner waren von diesem 13-Stunden-Trip begeistert und wir von ihrer offenen Art», erzählt Freiburghaus. Man kam ins Geschäft, der Preis stimmte. Die Mission war erfüllt.

«Die Herausforderung bei Wicor beflügelte mich», sagt Freiburghaus, dessen beruflicher Werdegang schon früher von Turbulenzen und Rettungsaktionen geprägt war. Nach seiner kaufmännischen Lehre und einem HWV-Studium hatte sich der Aargauer im Finanzwesen etabliert. Er erlebte als Projektleiter und Controller bei ABB den Verkauf des Kraftwerkgeschäfts an Alstom und danach den Beinahe-Konkurs der gesamten ABB. Um später für den Konzern eine Stelle in Thailand anzutreten, verliess er die Schweiz mit seiner Frau und Kleinkind. Nach der Rückkehr wurde es Freiburghaus fast etwas zu ruhig. Er verliess die ABB.

Eine ruhige Kugel schiebt er in seiner aktuellen Tätigkeit keineswegs. Die einstige Wicor-Division Automotive & Industrial ist mit dem Verkauf an Techniplas ein eigenständiges Geschäft geworden. «Damit verändert sich natürlich auch mein Arbeitsumfeld wesentlich», so Freiburghaus. Neben der Klärung von strategischen Fragen muss jetzt eine ganz neue und eigene Identität aufgebaut werden. Die Ungewissheit hat ihn aber noch nie belastet. «Mir ging es immer um das Geschäft und die Menschen, die das Geschäft zum Laufen bringen.» Dass ihn das gesamte Top-Management auf diesem nicht risikofreien Weg so gut unterstützt hat, ist die grösste Freude für ihn.

Text: Robert Wildi

Thomas Freiburghaus

stiess 2005 zur Weidmann International Corporation (Wicor Holding AG). Dort agierte der 45-Jährige zuerst als Finanzleiter des Unternehmensbereichs Plastics Technology und wurde 2010 zum Executive Vice President der Division Automotive & Industrial ernannt. Er führt über 800 Mitarbeitende in sieben Ländern und hat den Verkauf der Division im Mai 2014 an die US-amerikanische Techniplas Group federführend begleitet. Thomas Freiburghaus ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Die Techniplas Group

ist ein privat geführtes Kunststoffunternehmen mit Hauptsitz in Nordamerika, das schwerpunktmässig die Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie beliefert. Insgesamt verfügt das Unternehmen über elf Produktionsstandorte mit ebenso vielen technischen Kompetenz- und Vertriebscentern. Es beschäftigt über 2000 Mitarbeitende. Als eigenständiger Teil der Techniplas Group ist Weidmann Automotive & Industrial eine führende Herstellerin hochentwickelter und technisch anspruchsvoller Kunststoffkomponenten für die Automobilindustrie und Sanitärbranche mit Hauptsitz, Entwicklung und technischem Kompetenzzentrum in Rapperswil-Jona. Weidmann Automotive & Industrial unterhält Produktionsstandorte in der Schweiz, Deutschland, Brasilien, China und den USA.

Peter C. Böhni

SKU 82 2001

«Problemlöser der Nahrungsmittelindustrie»

Peter C. Böhni, Managing Director Nutrition Solutions bei der Bühler Gruppe, verschreibt sich samt und sonders der Nahrungsmittelindustrie. Der studierte Biochemiker senkt dabei Kohlenhydratmengen, evaluiert Ernährungstrends und sagt gebrochenem Reis den Kampf an.

Fjodor M. Dostojewski, russischer Romanautor und Aphoristiker, sagte einst, wer den Alltag meistere, der sei ein Held. Stellen Sie sich nun also vor, Sie stehen auf, frühstücken, geben dem Haustier zu essen, lesen nebenher die Zeitung, rufen Ihre E-Mails ab, machen sich dann auf zur Arbeit, gehen mittags beim Asiaten um die Ecke ein Reisgericht schlemmen, besiegeln den gelungenen Arbeitstag mit einem Feierabendbier, geniessen Pasta dazu und frönen schliesslich vor dem Zubettgehen dem Schokoladenkonsum. (Nicht nur) In Anlehnung an Dostojewski können Sie ruhig sagen, Sie haben den Ihren heldenhaft gemeistert. Gratulation.

Gratulation gebührt auch der Bühler Gruppe, deren Angebotspalette sich zumindest indirekt über fast jede der erwähnten Tätigkeiten erstreckt. Der weltweit operierende Konzern ist sowohl Spezialist als auch Technologiepartner für Maschinen, Anlagen und Services zur Verarbeitung von Grundnahrungsmitteln sowie zur Produktion hochwertiger Materialien.

Spaghetti trocknen

Peter C. Böhni, Managing Director Nutrition Solutions, sagt: «Unser Geschäftsfeld ist für mich das interessanteste überhaupt. Ich sehe berufsbedingt in viele Industrien hinein und hatte beispielsweise während meines Advanced Management Program, des Diplomprogramms des SKU, mit unterschiedlichsten Branchenexponenten zu tun. Doch ich bin und bleibe mit Herz und Seele Entwickler im Nahrungsmittelumfeld.» Böhni weiter: «In unserer Produktion spielen Technologie-, Ingredient- und Applikations-Know-how gemeinsam mit rein. Das fasziniert mich.» Seine exemplarische Ergänzung: «Bei einem Mineralwasser benötigt es Maschinen zur Produktion der PET-Flasche, das Wasser muss definiert und analysiert und schlussendlich hygienisch in die Flasche abgefüllt werden können.»

Apropos füllen, die Bühler-Homepage ist gefüllt mit kernigen Begriffen wie Innovation, Spitzentechnologie oder Einzigartigkeit. Der Strahlkraft zum Trotz, sind Konkretisierungen willkommen. «Nehmen wir als Beispiel Sustainability oder besser gesagt unsere Prozessoptimierung hinsichtlich Nachhaltigkeit. Wir stellen unter anderem bis zu 100 Meter lange Teigwarenanlagen her. Eine grosse Herausforderung liegt in der Spaghetti-Geradlinigkeit. Wenige können sich vorstellen, dass diese Art von Pasta beim Trocknen klar definierte Temperatur- und Feuchtigkeitszonen durchwandern muss. Das Trocknungsfeld hat zudem exakten Verhältnissen auf beiden Seiten zu entsprechen, sonst ergeben sich unwirtliche Krümmungen.»

Doch in den Packungen liegen ausschliesslich kerzengerade Spaghetti. Erschwerend kommt hinzu, dass der Trocknungsprozess äusserst energieraubend ist. «Unsere Pasta-Spezialisten haben nun eine Anlage entwickelt, die einerseits den Überschuss reduziert und anderseits bis zu 40 Prozent weniger Energie verbraucht», so Böhni.

Health, Convenience, Pleasure

Der Nahrungsexperte weiter: «Ferner sind wir bestrebt, aus Nebenprodukten neue hochwertige Erzeugnisse herstellen zu können. In der Reisproduktion etwa gibt es im Schnitt gut und gerne 20 Prozent sogenannte gebrochene Körner. Insbesondere Asiaten essen diese nicht. Sie und auch wir Europäer sortieren sie aus und geben gebrochene oder auch andersfarbige Körner für einen tiefen Preis der Tierfuttermittelindustrie ab. Dies, obwohl sie ernährungsphysiologisch absolut in Ordnung sind, also essbar und gut. Wir haben jüngst einen Prozess entwickelt, bei dem dieses Nebenprodukt vermahlen und mittels Extrusion zu rekonstituiertem Reis weiterverarbeitet wird. Unsere Aufwertung geht aber noch weiter, reichern wir das Reismehl doch zusätzlich mit Vitaminen und Mineralstoffen an. Damit offerieren wir nicht nur rekonstitutierte, sondern auch vitaminisierte Körner.»

Das Produkt spreche für sich, gesunde Ernährung liege schliesslich im Trend: «Beim Konsumenten gibt es im Allgemeinen drei Hauptrichtungen: Health, Convencience und Pleasure.» Damit meint der studierte Biochemiker, dass morgens gesund gegessen werde, am Mittag alles rasch sowie bequem vonstatten gehen müsse und am Ende des Tages wolle man sich Gutes tun, sich verwöhnen. «Wirft man dieses Trio in eine Waagschale, kommt als Konsequenz heraus, dass Junge weniger gut kochen können, der Vergnügungsfaktor immer höher sein muss und der Zeitaufwand für die Zubereitung immer kleiner wird», so Böhni.

Todesursache Nummer 1

Ein anderer, weitaus fatalerer Trend heisst Fettleibigkeit. Adipositas hat Rauchen längst als Todesursache Nummer 1 abgelöst und absolut betrachtet gibt es in China die meisten Betroffenen, gefolgt von den USA. Böhni mit Branchen(scharf)-blick: «Die Lebensmittelindustrie kann mit Produkten wie zum Beispiel dem kalorienarmen Eis recht wenig dagegen ausrichten. Klar, wir können zum Beispiel dünnere Pasta-Röhrenwände herstellen und damit die Kalorienmenge reduzieren, ohne dem Kunden das Gefühl zu geben, er esse weniger.» Doch letzten Endes gehe es hier um Psychologie und ein allgemeines ernährungstechnisches Umdenken. Am besten gefällt Natur-Aficionado Böhni aber immer noch dieses Rezept: «Weniger essen und sich mehr bewegen.»

Text: Cyril Schicker

Peter C. Böhni

begeisterter Tennisspieler, findet in der Bergnatur die nötige Abwechslung zum herausfordernden und von Reisen gespickten Berufsalltag. Der Vater vier erwachsener Töchter ist Doktor der Biochemie. Er war für die Hochdorf Gruppe tätig und dort für die strategische Ausrichtung und die Integration der Multiforsa in die Nutrifood AG verantwortlich. 2006 heuerte er bei Bühler Group an, wo er die Business Unit Nutrition Solutions leitet. Im SKU Advanced Management Program engagiert er sich als Strategiemoderator.

Bühler Group

Bühler Group ist ein Spezialist und Technologiepartner für Maschinen, Anlagen und Services im Bereich der Verarbeitung von Grundnahrungsmitteln sowie zur Produktion hochwertiger Materialien. Das Unternehmen hält weltweit führende Marktpositionen bei Produktionsanlagen für die Mehlherstellung, die Futtermittelverarbeitung, aber auch für die Herstellung von Pasta und Schokolade sowie im Aluminiumdruckguss. Die unternehmerischen Kerntechnologien liegen im Bereich mechanischer und thermischer Verfahrenstechnik. Die Gruppe ist in mehr als 140 Ländern tätig und beschäftigt auf der globalen Bühne rund 8 800 Mitarbeitende. Im Geschäftsjahr 2011 erwirtschaftete sie einen Umsatz von 2 131 Millionen Schweizer Franken.

Heinz M. Schwyter

SKU 87 2006

«Vordenker der Immobilienvermarktung 3.0»

Gute Ideen kennen für Heinz M. Schwyter keine Hierarchie. Oft hat sie der CEO der Homegate AG selber. Er führt, wie er denkt und handelt. Unkonventionell, weitsichtig, erfolgsorientiert. Ein Macher, der seiner Zeit oft etwas voraus ist.

Der Mann kommt in Jeans. Auch sonst ist er salopp gekleidet, erfrischend einfach, ohne dicken Anstrich. Für Heinz M. Schwyter, CEO der Homegate AG, zählen andere Werte. Das bestätigen die ersten Gesprächsminuten. Etwa so: «Gute Manager sollten sich nicht über teure Stoffe auf ihrer Haut definieren, sondern über die Raffinesse und Genialität des Stoffs, aus dem ihre Ideen und Gedanken sind.» Sich selbst auf den Sockel stellen will Schwyter nicht mit dem Zitat. Das würde nicht zu seiner Art passen. Er meint es allgemein.

Der 56-Jährige hat in seiner Karriere als Manager viel gesehen und erlebt. Um als Führungskraft Herausforderungen zu bewältigen, brauche es vor allem dies: Antizipationsfähigkeit, Weitsicht, Vordenkerqualitäten. Keine prestigegetriebene Oberflächlichkeit, sondern knallharte Kopfarbeit. Bei der Winterthur Versicherung (heute AXA Winterthur), für die er über 20 Jahre aktiv war, tüftelte Schwyter in den späten 90er-Jahren an einer revolutionären Autoversicherung, die sich dank GPS-Technologie dem Fahrverhalten des Inhabers anpasst. Der Markt war nicht reif für dieses Produkt. Es wurde auf Eis gelegt. Erst einige Jahre später folgte der Durchbruch. Schwyter war seiner Zeit voraus.

Den Wechsel von der grossen AXA-Winterthur zur kleinen Homegate AG machte Heinz Schwyter im Jahr 2001. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) hatte das Immobilienportal soeben gegründet und suchte eine etablierte Managerpersönlichkeit zum Aufbau von Partnerschaften. Nach wenigen Monaten rückte Schwyter in die Geschäftsleitung. Bald übernahm er bei Homegate.ch die Aufsicht über Verkauf, Marketing, Kundendienst und Produktmanagement. Anfang 2010 wurde er CEO.

Wie sich eine «Primaballerina» vor Google & Co. schützt

Der Immobilienmarkt hat sich in den letzten zwölf Jahren rasant entwickelt. Das forsche Tempo mitgehen müssen alle Dienstleister, die nicht vom Markt verschwinden möchten. Der Anspruch von Heinz Schwyter ist ambitionierter: «Wir wollen der Taktgeber sein.» Deshalb tut er das, was er am besten kann. Vorausdenken und Antizipieren. «Wie gut sind wir vorbereitet, wenn morgen früh Google & Co. riesige Immobilien-Suchportale gratis ins Netz stellen?»

Die Frage beschäftigte Schwyter bereits, bevor er die Geschäftsführung übernahm. Viel früher hatte er sich anhören müssen, Homegate.ch sei zwar eine elegante «Primaballerina», tanze auf einem Bein jedoch gegenüber Windböen allzu exponiert aus dem Markt. Als das Unternehmen vor sieben Jahren eine Strategieüberarbeitung beschloss, suchte Schwyter zu diesem Zweck ein möglichst praxisnahes Weiterbildungsprogramm. 2006 absolvierte er das sechswöchige SKU Advanced Management Program.

Fünf Jahre später konnte er das dort erworbene Wissen erneut einsetzen. Es ging bei Homegate.ch um die Planungsperiode 2012 – 2015. «Für mich war es wichtig, dass die neue Strategie nicht einfach von oben herab diktiert, sondern aus dem Unternehmen heraus entwickelt und getragen wird», erklärt Heinz Schwyter. Er genoss damit intern viel Rückendeckung. Es meldeten sich sechs freiwillige Mitarbeitende, um an der Entwicklung mitzuwirken. Am Ende folgte der Verwaltungsrat im Wesentlichen den Ideen des Strategieteams. Der Kern: Homegate.ch soll nicht einfach nur Plattform für Haus- und Wohnungsinserate sein, sondern Anbieter einer umfassenden Dienstleistungskette mit etlichen Mehrwerten für Partner und Kunden. Mit dem Ziel, diese langfristig ans Unternehmen zu binden. Auch wenn Gratis-Angebote locken sollten.

«Zum Beispiel haben wir für unsere Immobilienpartner das elektronische Bewerbungsdossier kreiert und damit lästige Papierbürokratie abgebaut», wird Schwyter konkret. Zurzeit arbeitet Homegate.ch in Kooperation mit der ZKB an einem Online-Hypotheken-Portal. Attraktiver gestaltet werden auch Kundendienstleistungen rund um die Themen Marketing und Werbung. «Wir schaffen neue regionale Werbekanäle und verringern damit Streuverluste für Kunden, die sich mit ihren Angeboten nur in einer bestimmten Region positionieren möchten.»

Und wenn Heinz Schwyter als ausgesprochener Nicht-IT-Experte bei all diesen technologischen Fortschritten und Neuerungen mal den Überblick verliert? «Kein Problem, dann lasse ich mich noch so gerne aufklären und führen von unseren jungen Cracks im Team.» Management im hierarchischen Gegenuhrzeigersinn, könnte man es nennen. Auch solche Konstellationen müssten im Sinne des Erfolgs drinliegen, lacht der CEO. Das passt zu seiner Grundhaltung, die dem Leitsatz «Sein statt Schein» nahe kommt. Es sei beim Führen und Managen wie bei einem Haus: «Die blendende Fassade nützt nichts, wenn im Innern das strategische Chaos herrscht.»

Text: Robert Wildi

Heinz M. Schwyter

ist Anfang 2010 nach zehn Jahren Firmenzugehörigkeit zum CEO der Homegate AG befördert worden. Zuvor absolvierte er eine über 20-jährige Karriere bei den Winterthur Versicherungen (heute AXA), wo er diverse Positionen besetzte. Heinz M. Schwyter ist geschieden, hat eine Tochter und wohnt in Turbenthal ZH. 2006 absolvierte er das SKU Advanced Management Program.

Homegate AG

Das Unternehmen wurde am 1. März 2001 von der Zürcher Kantonalbank (ZKB) gegründet. Im ersten Betriebsjahr wurde der führende Schweizer Immobilienmarkt Immopool ins Dienstleistungsangebot integriert sowie das Portal Homegate.ch lanciert. Mit über fünf Millionen Zugriffen sowie über einer Million Unique Clients pro Monat ist Homegate.ch heute die klare Schweizer Marktführerin in der Online-Immobilienvermarktung. Das Mitarbeiterteam umfasst rund 50 Spezialisten aus den Bereichen Immobilien, Finanzen, Informatik und Wohnen. Heute steht die Homegate AG zu 90 Prozent in Besitz der Tamedia AG. Die ZKB hält noch 10 Prozent. Im August dieses Jahres wird der Firmensitz von Adliswil ZH ins Tamedia-Mutterhaus nach Zürich verlegt.

Christine Schlatter

SKU 91 2010

«Fleischexpertin mit Biss und Weitsicht»

Christine Schlatter hat bei der Bell Schweiz AG die Geflügelsparte mittels neuer Strategie auf Erfolgskurs gehalten. Als Führungsperson setzt die Managerin des Schweizer Fleischmarktführers im tierischen Geschäft auf Menschlichkeit und Ideenvielfalt.

Strahlen um die Wette an einem Morgen im Juni. Hinter der Scheibe leuchtet – bis zu diesem Zeitpunkt ganz ungewohnt in diesem Jahr – die Sonne. Drinnen lacht Christine Schlatter, als sie ihr Büro betritt. In ein so helles Licht getaucht sieht sie ihr Stehpult und den bestuhlten Sitzungstisch heute zum ersten Mal. Denn die Managerin der Bell Schweiz AG hat das Office am Sitz im solothurnischen Oensingen am 1. April bezogen, quasi mitten im Winter. Der Umzug ist Folge einer Reorganisation beim Marktführer im Schweizer Fleischgeschäft. Zuvor hatte Schlatter am Standort in Zell LU fünf Jahre lang den Bereich Geflügel von Bell Schweiz geleitet. Dieser wurde im Rahmen der Neustrukturierung unterteilt. Seit dem 1. April 2013 sind ihr die Geschäftseinheiten Verkauf/Marketing und Seafood unterstellt.

Neues Jobprofil, altes Engagement: «Karriereleitern, Hierarchiestufen und solche Dinge interessieren mich weniger. Neue Aufgaben empfinde ich in erster Linie als attraktive Herausforderung», so Christine Schlatter. Vor dem 1. April war sie Chefin von 450 Mitarbeitenden. Heute sind es «nur» noch deren 225, verteilt auf fünf Bell-Standorte. Solche Zahlen sind ihr egal. Nicht aber die Menschen dahinter. «Ich könnte auch 50 oder 900 Angestellte führen. Zentral ist für mich, dass ich die Mitarbeitenden persönlich kenne.» Das meint die Managerin ernst. Sie montiert immer wieder Gummistiefel und Hygiene-Schutzbekleidung, um sich mit allen Teammitgliedern in den kühlen Produktionshallen auszutauschen und den Puls zu fühlen.

«Ich provoziere gezielt ein Meinungschaos»

Führen mit Herz ist für Christine Schlatter im wenig zimperlichen Fleischgeschäft keine Randnotiz. Menschlichkeit und Empathie sind ihr wichtig. Nicht nur, weil sie auch selbst gern mit Respekt und Wertschätzung behandelt wird. «Motivierte Mitarbeitende sind auch viel effizienter und kreativer.»

Die Managerin fördert aktiv die Ideenvielfalt. Zu Strategiesitzungen bietet sie stets auch Personen aus der zweiten Führungslinie auf. «Ich provoziere in der kreativen Phase gezielt ein ‹Meinungschaos›, aus dem ich die besten Inputs zu optimalen Lösungen zusammenführe.» So denkt und tickt Christine Schlatter. Pragmatisch und zielorientiert, immer auf Zack.

Auch ungemütlich kann sie werden. Dann, wenn Mitarbeitende die von der Chefin gewährten Freiheiten missbrauchen oder nicht das geforderte Tempo gehen. «Manchmal bin ich vielleicht etwas ungeduldig», räumt sie ein. Das hat mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Zielstrebigkeit zu tun. Die einzige Frau im siebenköpfigen Geschäftsleitungsgremium von Bell Schweiz hat nur eines im Sinn: die Marktführerschaft verteidigen und mit betriebswirtschaftlicher Weitsicht ausbauen.

Frische Ideen für Frischeprodukte

Man glaubt es ihr, denn ihre Loyalität zum Arbeitgeber hat sie unter Beweis gestellt. So etwa vor drei Jahren, als sich die Notwendigkeit einer Strukturerneuerung bei Bell Schweiz abzeichnete. Christine Schlatter zögerte nicht und buchte eine Weiterbildung. Ziel: die eigenen Führungskompetenzen perfektionieren und eine neue Strategie für den von ihr damals geführten Geschäftsbereich Geflügel entwickeln. Sie entschied sich für das SKU Advanced Management Program, das ihr intern empfohlen worden war.

Die Mühen haben sich gelohnt. Christine Schlatters Strategiepapier wurde von der Bell-Geschäftsleitung und vom Verwaltungsrat abgesegnet und umgesetzt. Ein Kernelement ist die klarere Positionierung von Produkten und der Marke Bell. Dabei helfen etwa Qualitätslabels. «Wir beschäftigen eigene Tierärzte und Agronomen, die Fütterung und Haltung der Tiere unserer Lieferanten peinlichst genau kontrollieren», hält Christine Schlatter fest. Bei der «integrierten Tierproduktion», wie sie von Bell praktiziert werde, seien auch Verarbeitung und Vertrieb des Fleischs zentrale Erfolgsfaktoren. Der Handel mit verderblicher Ware ist wegen kurzer Bestell- und Lieferrhythmen anspruchsvoll. Die Managerin hat deshalb die Logistikprozesse in der Geflügelsparte überarbeitet. Sie hat die Lagerkapazitäten erweitert und Verarbeitungs- sowie Vertriebsabläufe beschleunigt. Mit Erfolg. Dank der optimierten Logistik konnte Bell den Anteil von wertschöpfungsreichen Frischewaren in der Produktion markant erhöhen und damit einen höheren Deckungsbeitrag erzielen. Zwischen 2008 und 2013 hat Christine Schlatter den Beitrag des Geschäftsbereichs Geflügel am Gesamterfolg von Bell Schweiz überproportional gesteigert. Ein toller Leistungsausweis.

Auf den Lorbeeren ausruhen ist für sie kein Thema. «Ich sehe mich als Macherin, nicht als Verwalterin.» Neue Projekte warten. Im September dieses Jahres will Bell die Ausarbeitung einer neuen Absatzmarktstrategie in Angriff nehmen. An vorderster Front mit dabei: Christine Schlatter. «Das macht mir Spass, denn ich liebe mein Metier.» Sie steht jetzt im Büro, die helle Sonne im Rücken. Es geht noch zum kurzen Fototermin. Dann taucht sie wieder ein in die komplexe Welt der Fleischverarbeitung. Ein wichtiger Termin in der Oensinger Fleisch-Produktionshalle steht an.

Text: Robert Wildi

Christine Schlatter

hat von 2008 bis 2013 den Bereich Geflügel bei der Bell Schweiz AG geleitet. Nach einer Reorganisation ist sie seit dem 1. April 2013 für die Geschäftseinheiten Verkauf/Marketing und Seafood zuständig. Zur Bell-Gruppe ist Christine Schlatter vor rund 16 Jahren gestossen, nachdem sie in der Lebensmittelindustrie verschiedene Kaderpositionen bei anderen Unternehmen bekleidet hatte. Christine Schlatter wohnt in Meggen LU und ist ledig. 2010 absolvierte sie das SKU Advanced Management Program.

Bell Schweiz AG

Im Jahr 1869 eröffnete der Metzgermeister Samuel Bell in Basel seine «Ochsenmetzg» und legte damit den Grundstein für eine bald 150-jährige Erfolgsgeschichte. Mit einem Jahresumsatz von über CHF 2,5 Mrd. sowie 27 Produktionsbetrieben mit rund 6500 Mitarbeitenden ist Bell heute der grösste Schweizer Fleischverarbeiter. Rund ein Drittel des Erlöses wird mit den Auslandniederlassungen in Deutschland, Frankreich und Osteuropa/Benelux erzielt. Die Bell-Gruppe mit Konzernsitz in Basel wächst auch mittels Zukäufen. Die letzte Akquisition war eine 49-Prozent-Beteiligung am Convenience-Food-Spezialisten Hilcona AG aus dem Fürstentum Liechtenstein.

Simon Staufer

SKU 89 2008

«Manager der Klumpenrisiken»

Die Firma W. Kunz dryTec AG beliefert Kunden weltweit mit Trocknungsanlagen. Im schnelllebigen Geschäft sind Flexibilität, Tempo und Anpassungsfähigkeit gefragt. Die permanente Prozessoptimierung ist eine der Hauptaufgaben des Führungsteams um CEO Simon Staufer.

Vor fünf Jahren schrillten im aargauischen Dintikon die Alarmglocken. Die dort ansässige W. Kunz dryTec AG, ein stark exportabhängiges KMU im Bereich von industriellen Trocknungsanlagen für organische Schüttgüter, hatte zwar bis dahin vom weltweiten Boom für Bioethanol in der Tierfutterverarbeitung profitiert. Der Erlös aus dem Verkauf solcher Anlagen unter der Marke Swiss Combi war auf 80 Prozent des Gesamtumsatzes geklettert und zwischen 2006 und 2008 hatte das Familienunternehmen seinen Mitarbeiterbestand auf 40 Personen verdoppelt. Praktisch über Nacht brach die Nachfrage dann in den wichtigsten Zielmärkten Westeuropas fast komplett zusammen.

Simon Staufer – er teilt sich seit 2011 die Geschäftsleitung mit dem Firmenbesitzer Markus Kunz – erinnert sich: «Ich erarbeitete damals im Rahmen der Weiterbildung SKU Advanced Management Program eine Strategie, mit der wir das rasante Wachstum im Bioethanol-Markt erfolgreich bewältigen und fortsetzen wollten.» Mitten in der Abschlussarbeit musste er radikal umdenken und alles neu schreiben. «Plötzlich lautete die Aufgabe: Welche Sofortmassnahmen müssen wir treffen, um trotz des gravierenden Umsatzeinbruchs die Existenz der Firma zu sichern und einen markanten Stellenabbau zu verhindern?»

Der Chef überträgt sein Wissen

Der heute 39-jährige Co-CEO – damals Verantwortlicher für Verkauf und Produkt-entwicklung – wurde in dieser heiklen Phase auf die Probe gestellt und musste rasch neue Umsatzquellen erschliessen. Das Unternehmen entschied sich für eine Neubelebung des ursprünglichen Geschäfts mit sogenannten Bandtrocknungsanlagen. Um im harten europäischen Preiswettbewerb konkurrenzfähig zu sein, mussten die gesamten Produktionskosten jedoch rasch herunter- gefahren werden.

Ein Massnahmenpaket, das auch eine komplette Neugestaltung der Funktionsprozesse (Re-Engineering) des Bandtrockners beinhaltete, ermöglichte Einsparungen von 20 Prozent. Die W. Kunz dryTec lagerte einen grossen Teil der Produktion von Dintikon nach Tschechien aus. Im Aargau werden seither einzig noch Schlüsselkomponenten für die Anlagen hergestellt. Im Rahmen des Teilprojekts «Befähigung der Mitarbeitenden» wurde gleichzeitig ein intensiver Know-how-Transfer zwischen dem langjährigen Firmenchef Werner Kunz und den Angestellten gefördert. Bis heute beruft Staufer zusammen mit Vater und Sohn Kunz jeden Montag Mitarbeitersitzungen ein, an denen aus erster Hand hilfreiche Anweisungen und wertvolles Fachwissen zur Verbesserung der operativen Leistung jedes Einzelnen vermittelt werden. Zu einer erhöhten Betriebseffizienz führte auch die Verknüpfung aller firmeninternen Prozesse mittels einer neuen IT-Software (ERP-System). Dieses Jahr wird ein Produktdatenmanagement zur Optimierung der Lieferkette darin eingegliedert.

Lizenzgeschäft statt Auslandinvestitionen

Eine permanente Herausforderung ist für das Unternehmen die Förderung des tragenden Exportgeschäfts. Rund 90 Prozent ihres Umsatzes erzielt die W. Kunz dryTec im Ausland. Nach dem temporären Einbruch in Europa als Folge der Finanzkrise musste der Betrieb intensiv nach neuen Märkten in Asien, Nord- und Südamerika sowie Ozeanien Ausschau halten. Für die Etablierung von lokalen Standorten und Agentennetzen in fernen Ländern fehlte jedoch das Geld. «Wir beschlossen daher, auf strategische Partnerschaften und Lizenzmodelle zu setzen», erklärt Simon Staufer. Die W. Kunz dryTec liefert bei diesen Kooperationsmodellen hauptsächlich die Technologie sowie Schlüsselkomponenten für den Anlagenbau im Ausland, trägt aber nur kleinere Risiken für den operativen Erfolg. Die lukrativsten Lizenzvereinbarungen hat das Unternehmen heute mit je einem Partner in Finnland, Spanien und den USA.

Simon Staufer ist als Verkaufsverantwortlicher häufig auf Achse. Durchschnittlich an zwei Tagen pro Woche besucht er Kunden und Partner im Ausland, vornehmlich in Europa, oft auch in Übersee. Auf Baustellen kontrolliert er die Fortschritte bei der Konstruktion von bis zu 60 Meter grossen Trocknungsanlagen, die das Unternehmen im Auftragsverhältnis mit eigenen Ingenieuren zusammenbaut. Zur Kundschaft gehören kleine Landwirtschaftsunternehmen oder Sägewerke, aber auch Grosskonzerne mit mehreren tausend Mitarbeitenden.

Der Verkauf von Bandtrocknungsanlagen läuft nach zwei harten Übergangsjahren inzwischen wieder auf Hochtouren und spült der Firma heute rund 70 Prozent ihres Jahresumsatzes in die Kassen. Setzt sich die W. Kunz dryTec nach dem überstandenen Bioethanol-Schock damit einem neuerlichen Klumpenrisiko aus? Simon Staufer relativiert. Vor der Finanzkrise habe man sich ausschliesslich auf Kunden aus den Absatzmärkten Bioethanol und Holzpellets konzentriert. Heute sei der Umsatz auf sechs Verarbeitungsindustrien verteilt: Holzpellets, Futtermittel, Stärke, Nahrungsmittel, Zucker und Biomasse für Brennstoff. «Das gleiche Schicksal wie damals kann uns heute garantiert nicht mehr widerfahren», so die felsenfeste Überzeugung des CEO.

Text: Robert Wildi

Simon Staufer

stiess 2001 direkt nach Abschluss seines Maschinenbau-Studiums an der ETH Zürich zur W. Kunz dryTec AG. Er wurde 2006 Verkaufsleiter und 2011 Co-Geschäftsführer des Unternehmens. Neben der Betreuung von Stammmärkten und dem Aufbau von Neumärkten ist er auch für die strategische Ausrichtung des Aargauer KMU verantwortlich und hat zu diesem Zweck im Jahr 2008 das SKU Advanced Management Program absolviert. Heute sitzt Staufer auch im Verwaltungsrat der Veltru AG, einem KMU für Robotertechnik. Simon Staufer ist 39-jährig. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

W. Kunz dryTec AG

Das Engineering-Unternehmen mit Sitz in Dintikon AG hat sich auf die Entwicklung, Konstruktion und Realisierung industrieller Trocknungsanlagen im Grossanlagenbau spezialisiert. Kernkompetenz des Unternehmens sind ein indirektes Trocknungsverfahren mit geschlossenem Dampfkreislauf sowie ein Bandtrockner zur Nutzung von Abwärme. Beide Systeme erzielen dank niedrigen Emissionswerten eine umweltfreundliche Leistung. Die W. Kunz dryTec AG beschäftigt 40 Mitarbeitende und erwirtschaftet 90 Prozent ihres Umsatzes im Export.

Charly Kistler

SKU 82 2001

«Wir leben, um Freude zu haben.»

Bevor Sie Ihre Fragen stellen, gehe ich mit Ihnen durch meine Präsentation», sagt Karl «Charly» Kistler. Der CEO von Edelweiss schnappt sich die Fernbedienung des bereits aktivierten Projektors und legt los. Seite 1 zeigt die Vorgeschichte, die den Reiseveranstalter Kuoni 1995 dazu bewog, die Zusammenarbeit mit den Schweizer Airlines abzubrechen und eine eigene Fluggesellschaft zu gründen. Die Kurzversion: hier eine Fusion, dort eine Flottenzusammenlegung – ein jahrelanges Gerangel. Was dabei herausgekommen war, gefiel den Kuoni-Managern nicht. Deshalb leasten sie 1995 eigene Flieger. Erst drei MD-83, die wenig später durch drei fabrikneue A320 ersetzt wurden. 2002 erweiterten sie die Edelweiss-Flotte um einen A330-Langstreckenflieger. «Unser Auftrag lautete von Anfang an, uns von den andern abzuheben und es anders zu machen», erzählt Kistler, damals Chefpilot und Mann der ersten Edelweiss-Stunde.

Leichter gesagt als getan? Nicht in diesem Fall. «Wir sind seit Anbeginn erfolgreich und schreiben schwarze Zahlen», sagt Kistler. Er macht eine Kunstpause und zappt weiter: Die nächste Folie zeigt die Maslowsche Bedürfnispyramide. «Wertschätzung» liest er vor, kommentiert mit «wem die fehlt, dem geht es schlecht, im Beruf wie privat. Dessen sind wir uns bewusst.

Wertschätzung ist es, worum sich für Kistler alles dreht, das wird rasch klar. Die Wertschätzung ist sein Lieblingsthema und sein USP Nummer eins. Über Kosten reden? Uninteressant, die muss er einfach im Griff haben. Über Sicherheit? Da gibts nicht viel zu sagen, ausser dass sie der Lebensnerv ist und deshalb nicht verhandelbar. Über Wertschätzung hingegen könnte er ewig reden.

Im hoch kompetitiven und von A bis Z reglementierten Airline-Business war der Spielraum für die Veredelung des Angebots von Anfang an klein. Es sind denn auch kleine Dinge, mit denen sich die Ferien-Airline von der Konkurrenz abhebt: eine Zeitung auch in der Economy Class, Schweizer Spezialitäten statt 08/15-Menüs auf dem Rückflug aus der Ferne in die Heimat, kostenloser Transport von Golfgepäck bis 15 Kilo, ein Appenzeller Biberli als Give-away und der Kinder-Buggy, der nach der Landung am Ausgang des Flugzeugs für die Kleinen bereitsteht – natürlich entfaltet und gesichert. All das fällt für Kistler unter das Stichwort Wertschätzung. Seine Definition: «Alles ein bisschen besser zu machen, als es im Moment gerade notwendig erscheint.»

Vom Kuoni-Bleifuss zur Lufthansa-Perle

Die Tickets dürfen etwas mehr kosten als jene der Konkurrenz, aber nur minim. Kistler hat beim Entscheiden denn auch nicht nur Menschen vor Augen, die möglichst billig in die Ferien fliegen möchten, sondern mit Vorliebe jene, «die wollen, dass ihre Ferien bereits beim Einsteigen ins Flugzeug beginnen». «Als Schweizer Airline mit Schweizer Personalkosten mussten wir gar nicht erst versuchen, die tiefste Kostenstruktur zu haben», sagt Kistler, «drum waren wir von Anfang an auf Qualität ausgerichtet.» Eine visionäre Entscheidung – insbesondere von heute aus beurteilt. Denn wer hätte Mitte der Neunzigerjahre damit gerechnet, dass Fliegen dereinst so billig werden würde, wie es heute ist?

Der brutale Preiskampf und die Tatsache, dass immer mehr Low-Cost-Carriers die klassischen Edelweiss-Destinationen anflogen, verwandelten Edelweiss vom Diamanten im Kuoni Portefeuille zum Bleifuss. Heute gäbe es die Ferien-Airline wohl nicht mehr in der aktuellen Grösse, hätte nicht die Lufthansa die kleine, aber feine Flotte 2008 übernommen. Dieser Neuanfang hat Edelweiss beflügelt. Sie befindet sich – pilotiert von Karl Kistler – seither im Höhenflug.

Ibiza, Malediven, Marrakesch, Tampa, Sharm El Sheikh, Phuket … das Edelweiss-Streckennetz besteht aus Sehnsuchtsorten ferienreifer Menschen. Angeflogen werden die Destinationen heute zu Tageszeiten, die für Ferienreisende ideal sind. Auch das ist durch die Lufthansa-Übernahme und dank Synergien mit der Schwester Swiss möglich geworden: «Am frühen Morgen fliegen wir zuerst einen Flug für die Swiss nach Amsterdam, Hannover oder Paris. Dann kehren wir nach Zürich zurück und steuern von hier aus ans warme Wasser», sagt Kistler. Ein weiterer Vorteil: «Alle Flüge sind Linienflüge und fast alle sind Codeshare-Flüge», sagt Kistler, «die Gäste können so das Angebot mit jenem der Swiss beliebig kombinieren.»

Kistler sieht den Eigentümerwechsel als puren Glücksfall. Sogar seinen Glaubenssätzen konnte er damals treu bleiben. Einer lautet «Wir leben, um Freude zu haben» – mit einem Lächeln schreibt er ihn von Hand als Titel für dieses Porträt auf. Ein anderer Glaubenssatz ist, dass Durchschnittlichkeit keinen froh macht. Ein dritter: Nicht die Farbe der Wände im Büro gibt den Ausschlag, ob jemand gern zur Arbeit erscheint, sondern die anderen Mitarbeiter. «Das muss hier jeder verstehen», sagt Kistler, «es ist eines der wichtigsten Themen für uns.» Niemand, der die demotivierende Kraft unmotivierter Kollegen kennt, wird widersprechen.

Kistler will ausschliesslich Mitarbeiter mit Herzblut für die Fliegerei. Fände das Auswahlverfahren auf dem Vorfeld statt, würde er sie sofort erkennen: jene, die an den startenden und landenden Flugzeugen mehr Interesse zeigen als am referierenden Personalverantwortlichen. Aber die Selektion findet nicht mitten im Geschehen, sondern abgewandt in einem unpersönlichen Bürogebäude statt. Potenzielle Flight Attendants durchlaufen da ein aufwendiges Assessment. Wer danach einen Vertrag erhält, entspricht allerdings auch ohne Vorfeld-Check mit grosser Wahrscheinlichkeit dem Kistlerschen Ideal. Darauf darf der Edelweiss-Besucher auch aufgrund der elf Golden Travel Star Awards schliessen, die im Eingangsbereich des Edelweiss-Headquarters ausgestellt sind. «Diese Preise haben wir alle dank dem ‹Little Extra› geholt, um das wir uns täglich bemühen», sagt Kistler.

Auch an schlechten Tagen übererfüllen

«Wie sind wir erfolgreicher als alle andern?», fragt er. Sein Mantra: indem wir alles ein bisschen besser machen, als es notwendig erscheint.» Es ist Kistlers Handlungsanweisung für Flight Attendants und Piloten und für die Finanz- und Marketingleute ebenfalls. Kistler erwartet von ihnen nichts Übermenschliches. Die Mitarbeiter müssen sich nicht ständig selbst übertreffen. Er fordert nur, dass sie die Erwartungen übererfüllen, mit denen ein ganz gewöhnlicher Fluggast an Bord kommt. Und zwar immer. «Unsere Leistung ist nicht jeden Tag gleich», sagt er, «aber auch wenn sie tief ist, muss sie über den Erwartungen des Kunden liegen.» Da die Möglichkeiten, die Gäste zu beglücken, in einem engen Kostenkorsett stecken, müssen die Mitarbeiter selbst den Unterschied machen. Indem sie ihre Professionalität und Dienstfertigkeit mit Aufmerksamkeit, Charme und Freundlichkeit «veredelweissen».

«Es ist gelungen, diese Kultur zu schaffen», sagt Kistler, «darauf bin ich stolz.» Die Lufthansa scheint zu wissen, was sie am Edelprodukt Edelweiss hat. Kistler kommt mit seinen Anträgen jedenfalls durch. Jüngst konnte er die Business Class der Langstreckenmaschinen mit einem neuen Unterhaltungssystem und mit «Fully Lie-Flat»-Sitzen aufwerten, die im Handumdrehen zu zwei Meter langen Betten werden. Auch für seinen Vorschlag, einen Teil der Economy Class mit 15 Zentimetern mehr Beinfreiheit auszustatten, hat er grünes Licht bekommen. 15 Millionen Franken hat die kühl rechnende Mutter für die Neuerungen springen lassen. «Wenn die Eigentümer nicht sicher wären, dass wir das Geld wieder einspielen, hätten sie es nicht bewilligt», lautet Kistlers selbstbewusster Kommentar. Gleiches gilt für die zwei neuen Fernziele Las Vegas und Havanna, die Edelweiss seit Anfang Mai im Angebot führt. Ebenso für den zweiten Langstreckenflieger A330. Diesen hat Kistler persönlich in Toulouse in Empfang genommen – und nach Zürich geflogen.

Als Pilot Teil der Teams in der Luft

Selber zu fliegen, ist für Kistler das Grösste. Im Innern ist der 62-Jährige auch nach der Ernennung zum CEO Pilot geblieben. Er hat es sich nie nehmen lassen, in seiner Agenda neben die Sitzungen mit Controllern, Marketingleuten und dem Verwaltungsrat regelmässige Aus-Flüge einzutragen: Ein- bis zweimal pro Woche schlüpft er ins Pilotenjacket, das er an einem Bügel an der Bürotür hängen hat. Er bindet die Edelweiss-Krawatte, tritt zum Flugdienst an, setzt sich «auf den schönsten Platz im Flugzeug, vorne links» (Kistler) und fliegt eine Kurzstrecke. Einmal im Monat lenkt er einen Langstreckenflug. Für den Menschen Kistler sind diese Reisen ein Hochgenuss, für den Manager Kistler von unschätzbarem Wert. Denn als Pilot ist er regelmässig Teil dessen, was für ihn letztlich matchentscheidend ist: das Team in der Luft.

Bei der Auswahl der Piloten und Co-Piloten ist Kistler gern dabei. «Ich möchte wissen, warum einer fliegen will», sagt er. Im Cockpit will er Leute wissen, die wie er Freude am Fliegen haben sowie Interesse am Wetter und an der Technik. Menschen, die gerne runter schauen auf die Erde und die Teamplayer sind. «Keiner kann alleine fliegen», sagt er, «es braucht das Zutun von so vielen anderen, bis ein Pilot die Parkbremse lösen und wegrollen kann.»

Fehler sind menschlich, aber in dieser Branche rasch fatal. «Darum haben wir das Vieraugenprinzip eingeführt und behalten es auch bei, obschon die Industrie heute Flugzeuge bauen könnte, die von nur einem Piloten geflogen werden können», sagt Kistler. Piloten sind verpflichtet, gegenseitig zu intervenieren – auch wenn der CEO persönlich im Cockpit sitzt. «Das ist nicht einfach», sagt Kistler, «und es braucht mentale Vorbereitung.» Das Gleiche gilt für den Umgang mit brenzligen Situationen wie einem Triebwerkausfall. Kistler kennt das Notfallprozedere aus dem Effeff. Nicht in echt, sondern weil er alle sechs Monate für zwei Tage im Simulator übt – auch das ein Highlight in seinem Alltag.

Der Wunsch zu fliegen sei immer da gewesen, antwortet Kistler auf die Frage, warum er Pilot geworden ist. Damit angefangen hat er, der als Sohn des Forstwarts von Au-Fischingen im Hinterthurgau aufgewachsen ist, als Rekrut bei den Fallschirmgrenadieren. «Fallschirmspringen kommt dem Traum vom Fliegen ziemlich nah. 30 bis 70 Sekunden im freien Fall zu sein, ist ein sehr schönes Gefühl.» Deshalb wollte Kistler unbedingt in dieser Einheit seinen Dienst tun.

 

Zurück zur wahren Berufung: Pilot

Im Militär ist aus Karl Charly geworden und aus dem gelernten Elektromonteur erst ein Hobby- und dann ein Profipilot. Er war Pilot diverser Airlines und Experte des BAZL. 1987 wurde er Leiter einer UNO-Mission im Nahen Osten und damit Delegationsleiter und Chefpilot einer zweimotorigen F-27 in Personalunion. Er flog Politiker, UNO-Beobachter und Funktionäre ins Krisengebiet und wieder hinaus. Bekommen hatte er den Posten unter anderem, weil Tests ihn als stabile Persönlichkeit qualifizierten und er zudem in stabilen Verhältnissen lebte: verheiratet, zwei Kinder. Seine Familie siedelte mit ihm nach Jerusalem über, von wo aus er die Operation während drei Jahren leitete. Danach kehrte er in die Schweiz zurück – «wegen der Schule für die Kinder» – und er führte die Mission von hier aus weiter, bis er 1995 zu Edelweiss wechselte.

Seither sind fast 19 Jahre vergangen. 19 Jahre im Dienst der Edelweiss. Obwohl sie ihm nicht gehört, ist sie seine Airline. «Ich habe das hier mit einem professionellen Team aufgebaut und nach meinen Vorstellungen gestaltet», sagt Kistler. Mit dem Erreichten ist er so zufrieden, dass er es nun loslassen kann: Kistler gibt seinen CEO-Posten per 1. September auf. Nicht um in Frühpension zu gehen, nicht um Edelweiss zu verlassen, sondern um für den Rest seines Berufslebens nochmals ganz das zu sein, wozu er sich zeitlebens berufen fühlte: zum Piloten.

Was nach aussen für einige Aufregung sorgte, überraschte intern keinen. Kistler hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es ihm im Cockpit wohler ist als im Büro. Seine Piloten wissen, wie sehr er sie all die Jahre seines Chefseins darum beneidet hat, dass ihre Arbeit getan ist, sobald sie die Parkbremse gesetzt, das Cockpit verlassen und sich von den Passagieren verabschiedet haben. Letzteres ist übrigens auch eine Geste, die Kistler zum «Little Extra» erklärt hat. Nicht nur zugunsten der Gäste, sondern auch zugunsten des Kabinenpersonals: «Vielleicht bekommt der Kapitän ja ein Kompliment, das er der Crew im Sinne der Wertschätzung weitergeben kann.»

Die Folien der PowerPoint-Präsentation sind durchgespult, das Surren der Projektorenkühlung ist verstummt, das Gespräch sieht seinem Ende entgegen. Kistler spricht nochmals von der Wertschätzung. Darauf hat er alles gebaut. Darauf gründet der Erfolg von Edelweiss. Und damit beendet er seine Karriere als CEO: «Jemandem die Wahl zu geben, das ist Wertschätzung», sagt er. «Ich bin sehr glücklich, dass der Verwaltungsrat meinen Wunsch respektiert hat, dass ich wieder ins Cockpit zurück möchte», sagt er.

Drei in Plastik eingeschweisste, neue weisse Pilotenhemden liegen auf dem Aktenschrank hinter seinem Pult bereits parat. Sie sind etwas vom wenigen, das Kistler mit nach Hause nehmen will, wenn er sein Büro räumt. Das andere ist die kristallene Skulptur auf seinem Pult. Auch sie eine Auszeichnung für Exzellenz, aber anders als die Travel Star Awards unten im Eingang nicht für die Edelweiss als Ganzes, sondern für Kistler persönlich. Der Personality Award ist ihm 2012 verliehen worden. Nicht nur für das, was er mit Edelweiss erreicht hat, sondern auch für das, was er ist: eine Persönlichkeit von unschätzbarem Wert.

Text: Iris Kuhn-Spogat

Karl Kistler

Karl Kistler, 62, gelernter Elektromonteur, hat übers Militär zur Fliegerei gefunden. Erst als Hobbypilot, dann als Fluglehrer und schliesslich als Berufspilot. Er war für verschiedene Airlines im Einsatz und leitete als Chefpilot einer zweimotorigen Balair-Maschine Anfang der Neunzigerjahre eine UNO-Mission im Nahen Osten. Als Edelweiss 1995 gegründet wurde, stieg er als Chefpilot bei der Airline ein. 2001 wurde er CEO und Nachfolger von Niklaus Grob, einem Mitgründer von Edelweiss. Das Rüstzeug erarbeitete er sich on the job und in Zusatzausbildungen wie dem SKU Advanced Management Program. Kistler ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Am 1. September legt er sein CEO-Amt nieder und wird nochmals Edelweiss-Linienpilot. Neuer CEO wird Bernd Bauer. Der 48-jährige Deutsche verantwortet derzeit bei der Swiss den Bereich «Revenue Management, Pricing & Distribution».

Edelweiss

Edelweiss wurde 1995 von Kuoni gegründet und 2008 von Lufthansa übernommen. Die Flotte besteht aus sieben Flugzeugen, davon zwei Langstreckenflieger. Die führende Schweizer Ferienfluggesellschaft mit Sitz am Flughafen Zürich brachte 2013 rund 1,2 Millionen Passagiere an die schönsten Ferienziele in der ganzen Welt. Das Streckennetz umfasst 42 Destinationen in 28 Ländern. Die Airline ist für Service, Freundlichkeit und Qualität vielfach ausgezeichnet und erreicht eine Auslastung von hohen 83 Prozent. 450 der rund 500 Mitarbeiter sind laut Karl Kistler «Fliegende».

René Kamer

SKU 88 2007

«700 Partner und doch treu»

RailAway, der hierzulande führende Anbieter von Freizeitaktivitäten, gehört zu grossen Teilen den SBB. Je länger, desto mehr nabelt sich die agile Freizeit-Tochter von der Mutter ab, der Erfolg gibt diesem Prozess recht.

Zu den engsten Partnern zählen etwa das Zentrum Paul Klee, Schweiz Tourismus, Schweizer Radio DRS, Reckitt Benckiser, Ticketcorner, Pilatusbahnen, Verkehrshaus der Schweiz, Montreux Jazz Festival, Good News Productions AG und Swiss Indoors. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen, das heisst, bei 700 ist auch diese vollständig. 700 sind viel und es kristallisiert sich die Frage heraus, wer sich mit 700 – zumeist höchst potenten – Partnern ins (Business-)Bett legt.

Die Rede ist von RailAway, dem hierzulande führenden Anbieter von Freizeitausflügen im öffentlichen Verkehr mit Zusatzleistungen im Inland und nahen Ausland. Selbst wenn RailAway als Mutter die vor Kraft nur so strotzenden SBB hat, ist die erlangte Führungsposition in einer solchen mehr oder minder kurzen Zeit nicht selbstverständlich. RailAway ist noch nicht lange den Kinderschuhen entwachsen, hat man doch mit dem Geschäftsjahr 2010 erst eben das zehnte Jubilarjahr gefeiert.

Für die Strategie ins Boot geholt

Grund zum Feiern hat das Unternehmen aber vielmehr betriebswirtschaftlicher Warte aus. Dass die erfolgsbehaftete­ SBB-Tochter trotz anhaltender Wirtschaftselegie nicht in eine Depression stürzt, dafür sorgt auf der einen Seite das breit ausgeworfene Distributionsnetz von 450 (Bahnhofs-)Filialen. Auf der anderen Seite dürften eingangs erwähnte Partnerschaften und damit auch der Diversifikationseffekt zum Tragen kommen.

Dies reicht selbstredend kaum aus, um sich zum Marktführer zu wandeln. Die wohl wichtigste Komponente ist das Humankapital. Ohne den Faktor Mensch dürfte jedweder Erfolg etwa so gross sein, wie Jericho über dem Meeresspiegel liegt. Dreh- und Angelpunkt von RailAway sind die derzeit 62 Mitarbeitenden, allen voran Geschäftsführer René Kamer. Der Tourismusprofi dazu: «1999 wurden die SBB zur spezialrechtlichen AG. Mit der Umwandlung wuchs die Idee, einen Businessplan und ein neues Freizeitkonzept zu erstellen, um den sogenannten Modalsplit zu vollziehen.»

Er weiter: «Damit ist die Verlagerung vom Strassen- zum Schienenverkehr im Freizeitmarkt gemeint. Vor dieser Zeit war man noch nicht so weit respektive es fehlten Strategien. Im Rahmen eines auf vier Monate befristeten Projekts wurde ich ins Boot geholt, um ein Businessmodell zu entwickeln. Ich schloss unter anderem das vom SKU offerierte Advanced Management Program (AMP) ab.» Kamer, nicht ohne Stolz, themenabschliessend: «Dieses AMP hat mir enorm viel gebracht und so konnte ich das Erlernte gleich in die Praxis umsetzen. Es scheint zu funktionieren und ja, darauf fusst schliesslich RailAway.» Dass sich der amtierende CEO in diesem Umfeld wohlfühlt, überrascht nicht, immerhin wurde er quasi auf Schienen geboren, waren doch bereits sein Vater und zwei von drei Brüdern in selbigen Gefilden tätig.

Vater hin, Brüder her, René Kamer ist ein verdeutlichendes Beispiel dafür, dass Bahnangestellte nicht mehr Synonym für Gemütlichkeit und pastellfarbene Kurzarmhemden sind. Der zweifache Familienvater spiegelt durchaus den umtriebigen und weltoffenen Untenehmer. Dieser lagert nicht einfach die Füsse hoch und lässt sich zuoberst hängende Weintrauben zu Munde führen. Nein, dieser kämpft gegen widrige Marktumstände, zieht daraus seine Lehren und profitiert natürlich umgekehrt auch von Marktgegebenheiten.

«MIV» heisst der ärgste Konkurrent

RailAway, aus SBB-Konzernsicht ein Nischenplayer, hat schon immer eine gute Ausgangslage gehabt und wird es weiterhin haben. Schliesslich aber gilt es auch hier, dem ärgsten Konkurrenten, «MIV», das Wasser abzugraben. «MIV» ist das Akronym für «Motorisierter Individueller Verkehr». An der sich stets stärker in unseren Köpfen manifestierenden Nachhaltigkeit, Ökologie gehört hier dazu, stösst sich RailAway sicherlich gesund. Allerdings ist dies kein sakrosankter Erfolgsfakt.

Sakrosankt war früher nichts und es ist auch heute nichts sakrosankt. Entsprechend muss das Haus RailAway eine ausgeklügelte Strategie beheimaten, sodass die Weichen zukunftsweisend gestellt werden können. Diese fusst etwa auf Agilität und Authentizität. RailAway verzichtet auf seichte Effekthascherei, besinnt sich auf die Kompetenzen und schafft dadurch den positiven (SBB-)Imagetransfer. Die SBB haben es überdies verstanden, RailAway die notwendige operative Autonomie zu gewährleisten. Organisationsstrukturen sind denn auch schlank, Entscheidungs- und Handlungswege demnach kurz.

«Ich bin wohl eher ein dankbarer Typ»

CEO Kamer schätzt diese relativ neue Situation, kaum verwunderlich, überaus. Er ist sich bewusst und hat es schon oft erlebt, dass es mit einer derart starken Mutter zu (un-)wirtlichen Zielkonflikten kommen kann. Doch wer stellt sich denn schon in einen solch mütterlichen Schatten und läuft dadurch Gefahr, sich in die Nesseln zu setzen? Wer ist dieser René Kamer genau? Wie ist sein Führungsstil und wie viel Führungspersönlichkeit wurde ihm mit auf den natürlichen Weg gegeben?

Fragen über Fragen – die der Benjamin von sechs Geschwistern locker-sympathisch zu beantworten weiss: «In erster Linie freue ich mich, in einem derart privilegierten Umfeld arbeiten zu können. Wir haben beispielsweise spannende sowie zukunftsträchtige Partnerschaften und wir bewegen uns mit Freizeit in einem Wachstumsmarkt, der einerseits schweizlastig ist, anderseits viel mit Natur zu tun hat. Ich bin wohl eher ein dankbarer Typ, das heisst, ich muss nicht klotzen, tu lieber kleckern und schätze daher die uns offerierte Möglichkeit, das Geschäftsfeld Freizeit und Tourismus noch mehr weiterzuentwickeln. Stets versuche ich auch, meinen Mitarbeitern den Rücken zu stärken. Das Soziale ist mir wichtig.» Der 59-Jährige sieht ausserdem in sich den Wissensdurstigen, den Umsetzungsstarken: «Laufend bilde ich mich weiter. So etwa das bereits erwähnte AMP, das zehn Monate dauert. Sowohl AMP als auch SKU, der Anbieter, sind zwar nicht so bekannt, nichtsdestotrotz ist diese Weiterbildung etwas vom Besten, was mir bislang passiert ist.»

Kamer wirft Positives wie Negatives in die Waagschale: «Sicherlich, die Kosten belaufen sich auf einen tieferen fünfstelligen Frankenbetrag, und die Präsenzzeiten wie auch das Spannungsverhältnis Familie-Beruf-Weiterbildung sind nicht zu unterschätzen. Allerdings absolviert man ein Modul im Ausland, man geniesst viele Referate weltmännischer Wirtschaftsexponenten und kann darüberhinaus sein Netzwerk weiterstricken. Der Austausch mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, die aus jeweils völlig anderen Industrien kommen, ist einzigartig.» Kamer abschliessend: «Die Praxisnähe habe ich ja bereits angedeutet.»

Wenn wir schon von Praxisnähe sprechen, können wir auch wieder zur Praxis zurückkehren. Welches nächste Husarenstück treibt uns künftig Freudentränen in die Augen? «Ein Primeur im Freizeitmarkt des öffentlichen Verkehrs wird der SBB-RailAway-Online-Freizeit-Webshop sein. Im Sommer 2012 ist dieser marktreif. Der Kunde kann dann nicht nur SBB-Tickets online kaufen und bei Bedarf zu Hause ausdrucken, sondern auch gleich die RailAway-Zusatzleistung für sein Freizeitvergnügen.»

Text: Cyril Schicker

René Kamer

ist Geschäftsführer von RailAway AG, einem Freizeitanbieter, der zu 86 Prozent den SBB gehört. Der Vater zweier Töchter wurde vor zehn Jahren ins Boot geholt, um RailAway aufzubauen und zu etablieren. Kamer zeichnet seither für ein beispielloses Wachstum, aus verschiedener Sicht, verantwortlich. Den Erfolg verdankt er unter anderem seinem menschlichen Führungsstil, ebenso seinem steten Wissensdurst.

RailAway – Zehn erfolgreiche Jahre

Seine erste Dekade hat das den SBB zugehörige Unternehmen mit dem abgeschlossenen Geschäftsjahr 2010 hinter sich gebracht. Rail Away, eine wahre Erfolgsgeschichte, ist nun der führende Anbieter von Freizeitausflügen mit Zusatzleistungen im Inland wie auch nahen Ausland. Die SBB-Tochter operiert mit ihren 62 Mitarbeitern vom Hauptsitz in Luzern aus, verfügt über eine weitere Filiale in Lausanne und Lugano und erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von 74 Millionen Franken. In den kommenden fünf Jahren ist mit der neuen Strategie eine Steigerung von insgesamt 26 Millionen anvisiert. RailAway greift mit diesem Ziel nicht überambitioniert nach den Sternen, verfügt das zehnjährige Unternehmen doch über Verkaufsstellen in 450 Bahnhöfen und kann ausserdem auf ein 700 Partner umspannendes Netzwerk im Tourismus- und Veranstaltungsmarkt zugreifen. RailAway ist preis­gekrönt (Tourismuspreis Milestone 2005) und agil – die Weichen scheinen optimal gestellt zu sein.